Initiative
Tageszeitung e.V.

Online Lexikon Presserecht

Was ist eine Tatsachenbehauptung?

Voraussetzung des Gegendarstellungsanspruchs ist, dass eine Behauptung in einem periodischen Druckwerk aufgestellt worden ist. Die Tatsache muss also öffentlich mitgeteilt, d. h. den Lesern zur Kenntnis gebracht worden sein.

Voraussetzung für die Durchsetzung eines Gegendarstellungsanspruchs ist weiterhin, dass er sich gegen Tatsachenbehauptungen richtet. Dazu könne auch Verdachtsäußerungen, Gerüchte oder sogar Fragen zählen. Die Einordnung einer Äußerung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung entscheidet maßgeblich über die Berechtigung einer Gegendarstellung und darüber hinaus auch weitgehend über die Zulässigkeit der Äußerung.

Tatsachen sind Sachverhalte, Begebenheiten, Vorgänge, Verhältnisse oder Zustände, die der Vergangenheit oder Gegenwart angehören. Zum Begriff der „Tatsache“ gehören nicht nur die sinnlich wahrnehmbaren sogenannten „äußeren Tatsachen“, sondern auch die Vorgänge und Zustände des Seelenlebens, die sogenannten „inneren Tatsachen“. Eine innere Tatsache ist immer und nur dann anzunehmen, wenn ein innerer Vorgang in Beziehung zu bestimmten äußeren Geschehnissen gesetzt wird, durch die dieser in den Bereich der wahrnehmbaren äußeren Welt getreten ist.

Eine Tatsachenbehauptung liegt vor, wenn sie einem Wahrheitsbeweis zugänglich ist. Bei vollständiger Aufklärung des Sachverhalts lässt sich eindeutig feststellen, ob sie zutrifft oder nicht. Immer, wenn es verbindliche, das heißt gesellschaftlich allgemein akzeptierte Kriterien und Maßstäbe gibt, anhand derer gemessen werden kann, ob die Behauptung stimmt oder nicht, handelt es sich um eine Tatsachenbehauptung.

Ob eine Tatsachenbehauptung vorliegt oder eine Meinungsäußerung, kann oft erst festgestellt werden, wenn der zugrundeliegende Sachverhalt ermittelt ist (so auch OLG Frankfurt AfP 85, 288). Decken sich Äußerung und Sachverhalt, dann ist von einer wahren oder richtigen Tatsachenbehauptung auszugehen. Decken sich Äußerung und Sachverhalt nicht, dann liegt eine unwahre oder falsche Tatsachenbehauptung vor. Lässt sich bei voller Kenntnis des Sachverhalts darüber streiten, ob die Behauptung richtig oder falsch ist, handelt es sich um eine Meinungsäußerung. Sie ist nicht gegendarstellungsfähig, und ein Betroffener kann eine solche auch nicht zum Inhalt einer Gegendarstellung machen.

Meinungsäußerungen und Werturteile sind Äußerungen, die auf ihren Wahrheitsgehalt durch Beweisführung objektiv nicht zu überprüfen sind, da sie nur eine subjektive Auffassung, eine wertende Einordnung wiedergeben. Meinungsäußerungen sind im Unterschied zu Tatsachenbehauptungen durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt. Werturteile können rechtlich gesehen Tatsachenbehauptungen oder Meinungsäußerungen sein, je nachdem ob ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit objektiv feststellbar ist oder nicht.

Die im Gegendarstellungsverfahren prozessentscheidende Einordnung einer Äußerung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung erfordert es häufig, den Aussagegehalt im Wege der Interpretation zu ermitteln. Diese richtet sich nach dem Horizont des Empfängers. Zum Maßstab machen die Richter das Verständnis des Durchschnittslesers, der mit dem Thema des Berichts nicht speziell vertraut ist. Der Kontext, sein Anlass sowie sein gesellschaftlicher, sozialer und wirtschaftlicher Hintergrund ist u.U. mit zu berücksichtigen. Die Art des in Frage stehenden Mediums, die Zusammensetzung des Leserkreises und ein feststellbares Vorverständnis der angesprochen Kreise können von Bedeutung sein.

Deshalb ist es meistens nicht möglich, die Erstmitteilung auf Grund abstrakter Unterscheidungskriterien für von vornherein nicht gegendarstellungsfähig zu erklären, nur weil sie auf den ersten Blick keine Tatsachenbehauptung enthält. Ebenso falsch kann es sein, die Erstmitteilung ohne Kenntnis der Umstände als Tatsachenbehauptung zu qualifizieren und sie damit generell für gegendarstellungsfähig zu erklären. Dasselbe gilt für den Inhalt einer Gegendarstellung.

Die prozessentscheidende Frage, ob Tatsachenbehauptungen oder Meinungsäußerungen vorliegen, hängt nicht allein von der Antwort auf die theoretische Frage ab, ob die Äußerungen in der Erstmitteilung und in der Gegendarstellung klärbar oder nicht klärbar, einer Beweiserhebung zugänglich oder nicht zugänglich sind. Das ist nur der Ausgangspunkt der Prüfung. Entscheidend ist, wie der Leser oder Hörer bzw. Zuschauer die Behauptung in dem Zusammenhang, in dem sie ihm begegnet, versteht.

Sind die Äußerungen dahin zu verstehen, dass die beiden sich Äußernden konkrete Vorgänge voneinander abweichend mitteilen oder Zustände unterschiedlich schildern, dann ist von Tatsachenbehauptungen auszugehen. Sind die Äußerungen hingegen dahin zu verstehen, dass der Betroffenen seine Meinung zum Gegenstand der Erstmitteilung wiedergeben will, dass er also keinen neuen Sachverhalt mitteilen sondern einen solchen lediglich einordnen will, dann liegen Meinungsäußerungen vor.

Auf Grund dieser funktionalen Sicht hat der Bundesgerichtshof beispielsweise die Schlüsse des graphologischen Sachverständigen oder die Empfehlungen des Warentesters nicht den Tatsachenaussagen zugeordnet. Dabei ist für die Gegendarstellung die Erwägung Rühls (AfP 00,17) zu beachten, dass zwischen der Tatsachenbehauptung und der Meinungsäußerung die wissenschaftliche Tatsachenbehauptung steht, die im Gegendarstellungsverfahren möglicherweise zu einer anderen Abgrenzung Tatsachenbehauptung von Meinungsäußerung führen kann als im Unterlassungs- oder Widerrufsverfahren. Auch im Bereich des politischen Meinungskampfes und der inneren Tatsachen, etwa der Beweggründe, neigt der BGH dazu, Äußerungen eher als Wertungen zu qualifizieren (BGH NJW 84, 1102 Wahlkampfrede und AfP 78, 33 Halsabschneider).

Bleiben mehrere objektiv mögliche Deutungsmöglichkeiten einer Äußerung und will sich das Gericht für die zur Verurteilung führende entscheiden, dann muss es dafür besondere, überzeugende und nachvollziehbare Gründe angeben. Wo Zweifel bleiben, nehmen sowohl der Bundesgerichtshof wie auch das Bundesverfassungsgericht Meinungsäußerungen an. Für die Gegendarstellung bedeutet das, dass eine abschließende Beurteilung nur durch eine Gegenüberstellung von Erstmitteilung und Gegendarstellung, eventuell unter Beachtung des unstreitigen Sachverhaltes, erfolgen kann: Teilen Gegendarstellung und Erstmitteilung nach dem Verständnis des unbefangenen Lesers zum selben Geschehen oder Zustand unterschiedlichen Sachverhalte mit, dann steht Tatsache gegen Tatsache und die Gegendarstellung ist zulässig. Ordnen sie hingegen einen Sachverhalt nur unterschiedlich ein, dann steht Meinung gegen Meinung und die Gegendarstellung ist unzulässig.

Auch Äußerungen, die an sich zutreffend sind, können als gegendarstellungsfähige Tatsachenbehauptungen gelten, wenn durch ihre Darstellung ein unrichtiger oder irreführender Eindruck erweckt wird.

Gegendarstellungsfähig sind Tatsachenbehauptungen auch, wenn sie als Satire oder Karikatur auftreten. Für die Ermittlung ihres tatsächlichen Aussagegehalts muss die Äußerung von ihrer satirischen Einkleidung befreit werden.

Gegendarstellungsfähig sind auch tatsächliche Aussagen, die durch die Verbreitung von Bildern gemacht werden. Dabei ist allerdings die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu beachten, nach der das in erster Linie zu Illustrationszwecken eingesetzte Bild nicht ohne weiteres als Ergänzung einer im Text formulierten Sachaussage zu verstehen ist.

Aus der Rechtsprechung

Die Behauptung, „es habe jemand kurz vor dem Konkurs gestanden“, ist überwiegend Meinungsäußerung. OLG München, AfP 03/165

„Tierquälerei“ oder „tierquälerisch“ ist Meinungsäußerung, OLG Nürnberg, AfP 02/328

„Treue Gefolgsleute“ ist Meinungsäußerung. OLG Düsseldorf, AfP 01/329

Plagiatsvorwurf kann eine Meinungsäußerung sein: Exakt definierten Rechtsbegriffen kann im alltäglichen Sprachgebrauch ein abweichende Bedeutung zukommen, aus den Umständen muss ermittelt werden ob eine technische oder alltagssprachliche Begriffsverwendung vorliegt. OLG Köln, AfP 03/335

Die Äußerung einer Vermutung kann Tatsachenbehauptung sein, wenn die relativierende Form der Äußerung nur ein bloßes Stilmittel darstellt. Handelt es sich um eine Schlussfolgerung aus ebenfalls mitgeteilten Tatsachen, so liegt Meinungsäußerung vor, OLG Karlsruhe, AfP 03/439

Gegendarstellung kommt nicht in Betracht, soweit es um Tatsachenbehauptungen geht, die sich nicht in nennenswerter Weise auf das Persönlichkeitsbild des Betroffenen auswirken können. BVerfG , AfP 98/184

Unzutreffende Einordnung der Erstmitteilung als Meinungsäußerung verstößt jedenfalls dann gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht, wenn seine Beeinträchtigung schwer wiegt. Die Qualifizierung der Äußerung als Meinungsäußerung ist vom BVerfG nachprüfbar. Die Deutung ist am Verständnis des durchschnittlichen Empfängers der Äußerung auszurichten. Begleitumstände sind zu berücksichtigen, soweit diese für den Rezipienten erkennbar waren und damit das Verständnis der Äußerung bestimmen konnten. BverfG, AfP 98/500

Auch in einem Kommentar können Tatsachenbehauptungen enthalten sein. Erstmitteilung: Der Bürgermeister tut nichts, Gegendarstellung: In Wahrheit bemühe ich mich intensiv. LG Freiburg, AfP 98/528

„Obwohl M genügend Sportanlagen hat, verweigert die Stadt den türkischen Kickern die Nutzung“ ist Meinungsäußerung. OLG Karlsruhe, AfP 99/266

Aussagen wie: „eine Vereinbarung bleibt in wesentlichen Punkten hinter der gesetzlichen Haftung zurück“, „verkürzt die direkten gesetzlichen Haftungsansprüche“, „gelte nicht für bestimmte Personen“ sind Äußerungen eines subjektiven Rechtsstandpunktes und damit Meinungsäußerungen. OLG Stuttgart, Afp 99/353

Unterschiedliche wissenschaftliche Beurteilung objektiver Befunde ist Meinungsäußerung, nicht Tatsachenbehauptung, OLG Karlsruhe, AfP 99/356

Es werde „eine einheimische Firma einfach vor die Tür gesetzt“ ist Meinungsäußerung. OLG Karlsruhe, AfP 99/373