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Online Lexikon Presserecht

Wo beginnt die Schmähkritik?

Ehrverletzende Werturteile über bestimmte Personen sind nicht schon deshalb unzulässig, weil dem Leser nicht gleichzeitig Tatsachen mitgeteilt werden, die ihm eine kritische Beurteilung der Wertung ermöglichen. Als Voraussetzung der Kraft und Vielfalt der öffentlichen Diskussion, so der Tenor höchstrichterlicher Entscheidungen, müssen im Einzelfall auch Schärfen und Übersteigerungen des öffentlichen Meinungskampfes in Kauf genommen werden.

Ob eine Meinung von anderen, auch von einer Mehrheit für „falsch“ oder „ungerecht“ gehalten wird, tut dabei erst recht nichts zur Sache. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte, der Berechtigung von Ansichten nachzugehen. Entscheidend für die Zulässigkeit ist nur, ob für die kritische Äußerung ausreichend sachliche Bezugspunkte vorhanden sind.

Auch abwertende und wegen ihrer Form erheblich kränkende Formulierungen sieht die Rechtsprechung als im politischen Meinungskampf erlaubt an, so lange sie zum Gegenstand der Auseinandersetzung „Sachnähe“ haben. Dann handelt es sich um überspitzte, griffige, einprägsame Formulierungen, die nicht wörtlich genommen werden wollen, aber leichter erkennen lassen, in welche Richtung die Vorwürfe gehen.

Die Meinungs- und Pressefreiheit erlaubt jedoch keine groben Beschimpfungen, keine sogenannte „Schmähkritik“. Das ist eine Kritik, die ohne den geforderten Sachbezug in erster Linie auf vorsätzliche Kränkung der Person hinzielt. Hierbei sind jedoch in besonderem Maße die konkreten Umstände entscheidend, in deren Zusammenhang die beanstandete Äußerung getätigt wurde. Die Grenze ist erst überschritten, wo die Ausfälle vom durchschnittlichen Leser als reine Schmähung gewertet werden müssen, weil sie jeden Bezug zur Sache vermissen lassen und allein die Herabsetzung der Person im Mittelpunkt steht.

Durchaus einen sachlichen Hintergrund sahen die Richter z.B. in einem Fall, wo ein Hauseigentümer als „Wohnungs-Hai“ bezeichnet wurde, weil er allen Mietern eines in einer Zwangsversteigerung erworbenen Mietshauses gekündigt hatte, um das Gebäude leichter modernisieren zu können. Bezeichnungen wie „Clique“ und „Dreier-Bande“ mussten die Vorstandsmitglieder eines Sportverbandes in einem Zeitungskommentar hinnehmen, der sich kritisch mit der verkrusteten Hierarchie auseinander setzte.

Ganz anders sieht es aus, wenn eine Gewerkschaftspostille einen Arbeitgeber als „Halsabschneider“ tituliert – das ist bloß noch Schmähung ohne kritischen Sachbezug. Als Schmähkritik hat der Bundesgerichtshof es z.B. auch gewertet, dass eine Illustrierte über eine Fernsehansagerin schrieb, sie passe „in ein zweitklassiges Tingeltangel auf der Reeperbahn“, sie sehe aus wie eine „ausgemolkene Ziege“ und bei ihrem Anblick werde den Zuschauern „die Milch sauer“.