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Online Lexikon Presserecht

Ausgewogenheit

Ausgewogenheit ist kein Begriff des Presserechts im engeren Sinne. Er stammt aus dem Rundfunkrecht. Charakteristisch für das bis Mitte der 80er Jahre alleine vorherrschende öffentlich-rechtliche Organisationsmodell des Hörfunks und des Fernsehens ist, dass in Gesetzen und Staatsverträgen Leitgrundsätze für den Inhalt des Programms verbindlich gemacht werden. Das Auftreten der privaten, an den Werbeeinnahmen orientierten Programmanbieter hat an der herausragenden Stellung der Öffentlich-Rechtlichen im Bereich der politischen Information nichts geändert.
Programmausgewogenheit, Überparteilichkeit und Neutralität sind – neben einer Reihe weiterer Programmgrundsätze – die zentralen Bestimmungen, welche die gebührenfinanzierten Rundfunkanstalten zu beachten haben. Aus diesen Bestimmungen entwickelte sich das Modell der Binnenpluralität, demzufolge die einzelnen Anstalten für die Meinungsvielfalt in ihrem Programm zu sorgen haben.

In § 11, Absatz 3 des Staatsvertrages über den Rundfunk im vereinten Deutschland (Rundfunk-Staatsvertrag) vom 31. August 1991 heißt es: „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat bei Erfüllung seines Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit der Angebote und Programme zu berücksichtigen.“ Er soll als ein Medium der Bürger die aktuellen politischen Strömungen widerspiegeln und durch eine Vielfalt der Blickweisen auf ein Thema den Bürgern ermöglichen, sich ein eigenes Bild zu machen.

Das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass in öffentlich-rechtlichen Medien die Gesamtheit der in der Gesellschaft herrschenden Anschauungen in den Medien mit dem richtigen Gewicht zu Gehör kommt.

Das Ergebnis ist für den Medienpolitiker Jörg Tauss eine „staatliche Meinungsausstellung“: „An die Stelle einer offenen Gesellschaft, die den Staat kontrollieren könnte, tritt die verfasste Gesellschaft. Mit dem Aufsichtssystem der gesellschaftlich relevanten Gruppen fällt das Fernsehen auf das vordemokratische ständische Prinzip zurück. Jedes Mitglied der plural besetzten Organe von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und Landesmedienanstalten vertritt notwendigerweise nur die Interessen der Gruppe, die es entsandt hat. Es wird daher unvermeidlich zur Aufgabe des Gesetzgebers, die Gruppen zu bestimmen, die in diesen Gremien repräsentiert sind. Damit entscheiden die Parteien selbst, welche Meinungsrichtungen auf die Medien Einfluss erhalten, die sie kontrollieren sollen. Die vorgebliche Funktionssicherung gerät zur Mitgestaltung der Inhalte. Das Medienrecht bewegt sich unversehens in die Nähe der Zensur.“

Von politischer Seite wurde häufig sogar die Ausgewogenheit einzelner Sendungen wie z.B. einzelner Magazinbeiträge gefordert. „Ausgewogenheit“, meinte Franz Alt dazu, “ ist sicher eine wichtige Voraussetzung für Journalismus einer öffentlich- rechtlichen Anstalt. Aber Ausgewogenheit in einem politischen Magazin lässt sich nicht mit der Stoppuhr herstellen. Ausgewogenheit kann mit Sicherheit nicht heißen, Jesus genau so viel Sendezeit geben wie Judas.“ Binnenpluralismus innerhalb einer Sendung führe eher zur Verwässerung von Positionen als zur Meinungsvielfalt.

Das Selbstverständnis der Anstalten lässt demzufolge selbst explizit parteiische Berichterstattung innerhalb einer Dokumentation oder einer Magazinsendung zu. Das Ausmaß der kritischen Berichterstattung ist dabei in den Anstalten der ARD sehr unterschiedlich, auch zwischen ARD und ZDF gibt es deutliche Unterschiede. Der Bayerische Rundfunk hat sich einen Namen dadurch gemacht, dass er sich bei ARD-Sendungen, die nicht seine politische Zustimmung fanden, aus dem Gemeinschaftsprogramm ausklinkte.

Ihren Informationsauftrag hinsichtlich politischer Themen erfüllen die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten auf mehreren Ebenen:

  1. Durch die täglichen Nachrichtensendungen mit festem Sendeplatz
  2. Durch politische Magazine und Dokumentationen
  3. Durch Sondersendungen aufgrund aktueller, wichtiger Ereignisse

Die unterschiedlichen Präsentationsformen erfüllen jeweils andere Aufgaben:

  • Nachrichtensendungen verschaffen zumeist nur einen allgemeinen, oberflächlichen Überblick. Politische Information, die ausschließlich durch Nachrichtensendungen transportiert wird, trägt nicht zu einer fundierten Meinungsbildung des Zuschauers bei.
  • Magazinsendungen versuchen dagegen, Hintergründe offen zu legen und Zusammenhänge zu veranschaulichen. Die Themen- und Meinungsvielfalt der Magazinsendungen wird innerhalb der ARD auch durch das Rotationsprinzip bei der redaktionellen Verantwortung erreicht.
  • Politische Dokumentationen, die in der Regel keinen festen Sendeplatz haben, behandeln ein spezielles Thema aus der Perspektive des Autors. Vielfalt wird hier durch unterschiedliche Themen, aber auch durch wechselnde Autoren gewährleistet.
  • Sondersendungen, die zu gegebenen Anlässen ins Programm genommen werden, sind aktuelle Korrespondentenberichte, Interviews o. ä., die teilweise durch Archivmaterial ergänzt werden und die über einen sehr unterschiedlichen Informationsgehalt verfügen, der häufig unter dem Aktualitätsdruck und der daraus entstehenden mangelnden Zeit für Recherchen zu leiden hat.

Eine Informationsvielfalt, die der Funktion des Fernsehens als Vermittler unterschiedlichster politischer Positionen gerecht wird, entsteht erst durch die unterschiedlichen Positionen der einzelnen Sendeanstalten und die sich ergänzenden Sendeformen.