Initiative
Tageszeitung e.V.

Online Lexikon Presserecht

Onlinearchive

Regelmäßig werden Artikel nach ihrer Veröffentlichung von Verlagen auch in Archiven bereitgestellt, oder es werden Archive für die Artikel aus den Printausgaben vergangener Jahre eingerichtet. Onlinearchive speichern, genau wie analoge „Papierarchive“, Publikationen und erhalten diese somit für die Zukunft. Bedeutsam ist aber, dass Onlinearchive, anders als Papierarchive, häufig deutlich einfacher zu erreichen sind und damit eine deutlich größere Breitenwirkung entfalten können.

 

Grundsätze

Fragen zur Zulässigkeit von Onlinearchiven stellten sich in der Vergangenheit regelmäßig im Zusammenhang mit der Berichterstattung über Straftaten. Das juristische Spannungsfeld erstreckt sich in solchen Fällen zwischen dem Resozialisierungsinteresse der betroffenen Personen, welche in der Vergangenheit für Straftaten verurteilt wurden, und den Rechten der Medien, welche in besonderer Weise dem berechtigten Interesse der Öffentlichkeit Rechnung zu tragen haben, vergangene Ereignisse nachrecherchieren zu können und über eine Art „historisches Gedächtnis“ zu verfügen (vgl. EGMR, 28.06.2018 – Az. 60798/10 und 65599/10 – Sedlmayr-Mörder).

 

„Lebach“-Rechtsprechung

Die grundlegende Entscheidung zur Zulässigkeit von identifizierender Berichterstattung und zum entgegenstehenden Resozialisierungsinteresse der Betroffenen ist die sog. Lebach-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 05.06.1973. In dieser Entscheidung urteilte das BVerfG, dass grundsätzlich ein Berichterstattungsinteresse an begangenen Straftaten bestehe und derjenige, der den „Rechtsfrieden breche“ dulden müsse, wenn das dadurch erregte Berichterstattungsinteresse befriedigt werde. Nach Verurteilung und Verbüßen der verhängten Strafe nehme aber das Resozialisierungsinteresse des Täters zu. Eine erneute Berichterstattung würde einer wiederholten sozialen Sanktion gleichkommen, welche nicht mehr durch ein entsprechendes öffentliches Interesse gerechtfertigt werden könne.

Das Resozialisierungsinteresse der betroffenen Person gewinnt mit zunehmendem zeitlichem Abstand zur Tat immer weiter an Gewicht, so dass jedenfalls eine erneute Berichterstattung über eine Straftat unter Namensnennung des Täters nicht mehr zulässig wäre.

 

Übertragbarkeit auf Onlinearchive

Soweit aber nicht eine erneute Berichterstattung, sondern das öffentlich zugängliche Vorhalten eines Berichts in einem Onlinearchiv in Rede steht, ist dessen Zulässigkeit anhand einer neuen Abwägung der im Zeitpunkt des jeweiligen Löschungsbegehrens bestehenden gegenläufigen grundrechtlich geschützten Interessen zu beurteilen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.11.2019 – 1 BvR 16/13 – Recht auf Vergessen I, Rn. 115). Hierbei stellt die ursprüngliche Zulässigkeit eines Berichts einen wesentlichen Faktor dar, der ein gesteigertes berechtigtes Interesse von Presseorganen begründet, diese Berichterstattung ohne erneute Prüfung oder Änderung der Öffentlichkeit dauerhaft verfügbar zu halten (vgl. BVerfG ebda., Rn. 130). Denn in diesem Fall hat die Presse bei der ursprünglichen Veröffentlichung bereits die für sie geltenden Maßgaben beachtet und kann daher im Grundsatz erwarten, sich nicht von neuem mit dem Bericht und seinem Gegenstand befassen zu müssen (BVerfG, 07.07.2020 – 1 BvR 146/17).

Allerdings werden Betroffene grundsätzlich auch durch das Vorhalten von Artikeln in Online-Archiven und deren leichte Auffindbarkeit in ihren Rechten betroffen. Auch hierdurch kann die Resozialisierung wesentlich erschwert werden und es dem Betroffenen unmöglich gemacht werden, seine vergangenen Taten hinter sich zu lassen.

Zwar enthält das allgemeine Persönlichkeitsrecht keinen Anspruch darauf, darüber zu entscheiden, welche Informationen zu seiner Person frei abrufbar sind und welche nicht, aber das Recht gewährleistet die Freiheit, die eigenen Meinungen und Verhaltensweisen zu überdenken und mit früher begangenen Fehlern abzuschließen.

Diese entgegenstehenden Interessen von Presse und Betroffenem sind in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Praktisch bedeutet das, dass ein Presseunternehmen zwar zunächst veröffentlichte Beiträge auch in einem Onlinearchiv anbieten darf. Das Unternehmen muss aber prüfen, ob eine fortgesetzte Abrufbarkeit rechtmäßig ist, wenn es vom Betroffenen dazu aufgefordert wird. Hierbei spielen dann die jeweiligen Umstände des Einzelfalls eine Rolle. So ist von Bedeutung, wie sich der Betroffene nach der Tat verhalten hat und ob er weitere Anlässe für eine erneute Berichterstattung gesetzt hat. Zudem ist zu berücksichtigen, wie viel Zeit seid der Archivierung verstrichen ist und wie stark die Auswirkungen der Abrufbarkeit auf das Leben des Betroffenen sind. So macht es einen Unterschied, ob die Artikel über Suchmaschinen auffindbar sind und an welcher Stelle die Treffer angezeigt werden. Den Interesse des Betroffenen kann auf verschiedene Art und Weise Rechnung getragen werden. So wird nur in Ausnahmefällen eine Anonymisierung oder Löschung der Texte notwendig sein. Regelmäßig wird es ausreichen, dass technische Maßnahmen ergriffen werden, die eine Auffindbarkeit über Suchmaschinen verhindern. Bei der Website-Architektur kann dies bspw. relativ einfach durch den Einsatz sog. „NoIndex-Metatags“ erreicht werden.

 

Verdachtsberichterstattung in Onlinearchiven

Eine Besonderheit im Zusammenhang mit der Bereitstellung von Artikeln in Onlinearchiven besteht, wenn es sich um Verdachtsberichterstattungen handelt. (Zur Zulässigkeit von Verdachtsberichterstattungen siehe hier)

Die Besonderheit besteht darin, dass von einer Verdachtsberichterstattung regelmäßig bereits eine stark stigmatisierende Wirkung ausgeht und sich nach Erscheinen des Artikels regelmäßig weitere Erkenntnisquellen eröffnet haben, die zum Zeitpunkt des erstmaligen Erscheinens aber noch nicht berücksichtigt werden konnten.

Im Grundsatz kommt es auch in diesen Fällen auf eine Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und den Rechten der Presse auf Meinungs- und Pressefreiheit an.

Hierzu hat das BVerfG zuletzt ausgeführt: „Zu den verfassungsrechtlich gesicherten Aufgaben der Presse gehört es, investigativ – in den Grenzen des Zulässigen – auch über Verdächtigungen von hohem öffentlichen Interesse zu berichten.“ (vgl. BVerfG, 07.07.2020 – 1 BvR 146/17).

Allerdings können auch Situationen entstehen, in denen ein Verdacht nachweislich unbegründet und ohne eigenes Zutun des Betroffenen entstanden ist und über diesen berichtet wurde. In diesen Fällen stellt die weitere Verfügbarkeit der Verdachtsberichterstattung eine besondere Härte für den Betroffenen dar. Gleichzeitig ist das öffentliche Interesse an der sich später als falsch herausstellenden Berichterstattung regelmäßig von nur geringem Interesse. Daher sind Ausnahmefälle denkbar, in denen das Vorhalten einer ursprünglich berechtigten Verdachtsberichterstattung durch Zeitablauf oder durch zwischenzeitlich hinzugekommene Umstände eine die betroffene Person derart belastende Dimension gewinnen, dass daraus Löschungs-, Auslistungs- oder Nachtragsansprüche erwachsen können. Hierbei ist aber die grundsätzliche Freiheit der Presse, den Gegenstand ihrer Berichterstattung selbst zu wählen und nicht zu neuerlichen Nachforschungen verpflichtet zu werden, hinreichend zu gewichten. Nachtragspflichten können aber beispielsweise dann bestehen, wenn die Presse bereits selbst über einen zwischenzeitlichen Freispruch berichtet hat oder wenn ihr dieser leicht nachprüfbar vom Betroffenen nachgewiesen wird.

In anderen Fällen, insbesondere bei bereits anfänglich unzulässiger Verdachtsberichterstattung, kann auch ein ergänzender Hinweis nicht ausreichen, um die andauernde Persönlichkeitsrechtsverletzung zu beseitigen. In diesen Fällen besteht regelmäßig ein Auslistungs- oder Löschungsanspruch des Betroffenen (vgl. BGH, 16.02.2016 – VI ZR 367/15).

 

Siehe auch: Recht auf Vergessenwerden