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Online Lexikon Presserecht

Sorgfaltspflicht

Sorgfaltspflichten kennt jeder Beruf: Der Arzt muss sein Bestes tun, um einen Patienten zu heilen, der Anwalt muss die entlastenden Argumente finden und der Klempner die Wasserleitung so installieren, dass nicht irgendwann das ganze Haus unter Wasser gesetzt wird. Tun sie dies nicht, droht Ärger – unter Umständen auch eine Klage auf Schadenersatz.

Auch der Journalist muss sorgfältig arbeiten. Die Presse hat alle Nachrichten, so heißt es übereinstimmend in den meisten Landespressegesetzen, vor ihrer Verbreitung mit der „nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Wahrheit, Inhalt und Herkunft zu prüfen“. Auch der „Pressekodex“ stellt diese Sorgfaltspflicht an den Anfang des Pflichtenkatalogs: „Zur Veröffentlichung bestimmte Nachrichten und Informationen sind“, so heißt es in Ziffer 2, „mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen.“

Was aber ist die Wahrheit? Um die reine Wahrheit, um die sich seit Jahrhunderten Philosophen, Juristen und Wissenschaftler redlich bemühen, geht es dabei nicht. Die „Umstände“ journalistische Arbeit mit ihrem Aktualitätsdruck sind Gift für jede Sorgfaltsforderung. Alles muss ja schnell gehen – und trotzdem darf die Hektik nicht so sehr überhand nehmen, dass mögliche Tatsachen auf der Strecke bleibt.

Sorgfalt als Schutzschild

Die Sorgfaltspflicht ist für jeden Journalisten von beträchtlicher juristischer Bedeutung. Denn auch an der „heißesten Geschichte“ verbrennt er sich die Finger nicht, wenn er nachweisen kann, seine Sorgfaltspflicht beachtet zu haben. Dann durfte er guten Gewissens schreiben oder senden.

Lässt sich in einem Rechtsstreit weder die Wahrheit noch die Unwahrheit einer Tatsachenbehauptung erweisen, so wird der Richter bei seiner Abwägung zwischen der Äußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG einerseits und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen aus Art. 1, 2 Abs. 1 GG andererseits immer auch prüfen, ob die Presse vor der Veröffentlichung eine sorgfältig Recherche angestellt hat.

Auch bei jeder Verdachtsberichterstattung kann die Zulässigkeit der Äußerung über einen bestehenden Verdacht davon abhängen, ob die Redaktion zuvor sorgfältig recherchiert hat.

„Tadelnde Urteile“ über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen, so heißt es im Strafgesetzbuch (§ 193), sind sowieso nur dann strafbar, wenn sie als krasse Beleidigungen einher kommen. Und ganz allgemein gilt dies für alle Äußerungen, die „in Wahrnehmung berechtigter Interessen“ gemacht werden.

Strafbarkeit und Schadensersatzansprüche kommen überhaupt nur bei Verschulden in Frage. Ein solches Verschulden des Journalisten scheidet aber immer aus, wenn er vor der Veröffentlichung sorgfältig recherchiert hat.

Nur vor einem schützt die größte Sorgfalt nicht: Stellt sich hinterher die Unwahrheit einer Behauptung heraus, kann der Journalist bzw. das Medium zur Unterlassung oder auch zur Richtigstellung verurteilt werden. Hier sind die Erkenntnisse maßgeblich, die das Gericht aufgrund der Beweismittel gewonnen hat und nicht die eingeschränkte Sicht der Dinge, die dem Journalisten vor der Berichterstattung möglich war. Das Interesse des Betroffenen daran, dass die nachweislich unwahre Behauptung zukünftig unterbleibt, und sein Interesse an einem Widerruf gehen vor.

Was ist „pressemäßige“ Sorgfalt?

Was die Anforderungen an „pressemäßige Sorgfalt“ betrifft, so werden die Gerichte selbstverständlich nicht dieselben Anforderungen an die Recherche stellen, die für gerichtliche Verfahren zur Tatsachenfeststellung gelten. Mit solche Maßstäben würde jede Berichterstattung weitgehend lahmgelegt werden. Die angelegten Sorgfaltsmaßstäbe müssen den besonderen Gegebenheiten der Presse Rechnung tragen – und das ist insbesondere die Notwendigkeit, aktuell zu berichten.

Dennoch ist Zeitmangel im Ernstfall kein Rechtfertigungsgrund für leichtfertigen Umgang mit den Rechten anderer. Die noch so heiße Enthüllungsgeschichte über korrupte Machenschaften des Bürgermeisters muss so solange unter Verschluss bleiben, bis alles uns zumutbare getan ist, um sie faktenmäßig „wasserdicht“ zu machen.

Wie sorgfältig müssen Journalisten also sein? Darauf gibt es eine nicht so recht befriedigende Antwort: Es kommt darauf an!

Zwei Prinzipien können als Richtschnur dienen:

1. die Anforderungen an die Sorgfalt der Recherche hängen von der Schwere des erhobenen Vorwurfs ab.

2. wenn der Bericht sich um ehrenrührige Behauptungen und Tatsachenaussagen über eine Person dreht, sind die Anforderungen viel strenger, als bei der Berichterstattung über Fragen allgemeiner Bedeutung, durch die öffentliche Institutionen betroffen sind. Noch höher werden die Maßstäbe sein, wenn es um den privaten, gar um den intimen Bereich geht, und es dennoch triftige Gründe gibt, sie zum Gegenstand der Berichterstattung zu machen. Dann muss die Recherche schon hieb- und stichfest sein, bevor man die Veröffentlichung wagen darf.

Weiterhin macht es einen Unterschied, ob die Redaktion

1. Nachrichten nur weitergibt oder

2. Nachrichten selbst recherchiert

Normalerweise verlassen sich Zeitungen und Rundfunkanstalten auf alles, was da von dpa auf den Bildschirmen flimmert. Korrespondenten können ein Lied davon singen, wie schwer es ist, gegen dieses blinde Vertrauen anzukommen, das Agenturen in der Zentrale genießen. Dennoch sind die Medien nicht aus jeder juristischen Haftung heraus, wenn sie Agenturmeldungen in ihren Nachrichtenteil aufnehmen.

Zwar darf man sich bei der Übernahme im Regelfall auf die Richtigkeit der Meldungen einer als zuverlässig bekannten Agentur verlassen – aber nur, sofern die Meldung nicht offenkundig fehlerhaft ist. Und was ist, wenn sich bei einem heißen Thema die Meldungen widersprechen? Dann muss so lange nachgehakt werden, bis die Nachricht auf sicherer Grundlage steht. Denn es schützt nicht vor der Verbreiter-Haftung, wenn gerade die Unklarheiten und Widersprüche in der Nachricht herausarbeitet werden.

Der Journalisten, dem eine Meldung „gesteckt“ wird, die ihm nicht recht koscher vorkommt, darf diese nicht unbesehen veröffentlichen. Er muss die Seriosität der Quelle prüfen, so gut es geht – wenn der Informant sich telefonisch gemeldet hat, auch durch einen Rückruf. Er muss nähere Angaben verlangen, die sich bei ihm vielleicht zu einem Bild zusammenfügen. Er muss sich um den Gegencheck bei anderen Quellen bemühen – um so gründlicher, je heikler der Stoff ist, der ihm da auf den Tisch gebracht wird.

Auch bei wenig spektakulären Mitteilungen muss neben der Zuverlässigkeit der Quelle zunächst die Plausibilität des Mitgeteilten geprüft werden. Und „raus“ darf die Nachricht erst, wenn man sich mit aller zumutbaren Anstrengung bemüht hat, den Wahrheitsgehalt herauszuklopfen. Sonst verliert der Journalist den Schutzschild der „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ und riskiert es, alle möglichen Abwehransprüche auf sich oder das Medium zu ziehen.

Verlassen darf man sich auf die Presseerklärung von Behörden. Das Land Baden-Württemberg kostete eine Pressemitteilung über die Qualität einer bestimmten Eiernudel einmal einen Betrag in zweistelliger Millionenhöhe – die Medien handelten korrekt, als sie den unappetitlichen Verdacht weitergaben.

Oft haben Journalisten allerdings Probleme, die Presseerklärung einer Behörde von einer Mitteilung eines Beamten zu unterscheiden. Während die Presseerklärung des Justizsprechers oder des Sprechers der Staatsanwaltschaft unproblematisch zitiert werden kann, ist die Aussage des ermittelnden Polizeibeamten vor Ort mit Vorsicht zu behandeln. Eine Behördenerklärung ist sie jedenfalls nicht. Nur der Behördenleiter oder der von ihm beauftragte Pressesprecher ist schließlich zu Presseerklärungen befugt. Uneingeschränkt auf die Richtigkeit zu vertrauen, ist unter Polizeireportern zwar durchaus üblich, aber doch leichtsinnig.

Bei selbst recherchierten Geschichten ist weit mehr Sorgfalt geboten, denn nicht hinter jedem Gerücht steckt ein Skandal. Natürlich erntet der Journalist mehr Ruhm mit dem Aufdecken einer Affäre in der Regierung als mit dem Nachdruck von Agentur-Meldungen. Die wichtigste Sorgfaltsanforderung besteht darin, dass er alle erreichbaren Quellen ausgeschöpft hat. Welche Quelle für ihn „erreichbar ist, bei dieser Abwägung sind auch der Zeitfaktor sowie das Aktualitätsinteresse zu berücksichtigen. Zumutbar ist es vor allem, nach den klassischen Regeln journalistischer Recherche durch viele Gespräche, die immer dichter zum Kern vorzudringen, ein Puzzle des Geschehens zusammenzusetzen, Dokumente und Beweismittel zu erfragen, sich diese Dokumente notfalls etwas kosten zu lassen, falls die Informationen gratis nicht zu haben sind.

Die zweite wichtige Anforderung besteht darin, dem Betroffenen zur Stellungnahme zu geben, wenn die Dinge, von denen wir berichten, für ihn nicht besonders schmeichelhaft sind. Der Grundsatz lautet nicht „audiatur et altera pars“ – auch der andere soll gehört werden. Er muss gehört werden! Vor Gericht hat der Journalist sonst die schlechteren Karten.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass der Betroffene bei der Rückfrage mit der beabsichtigten Meldung konfrontiert wird. Es reicht keinesfalls, bloß den Wunsch nach einem Interview äußern. Lehnt der Betroffene dies ab, so war diese Anfrage keine Rückfrage hinsichtlich der beabsichtigten Meldung. Bei schwerwiegenden Vorwürfen sollte schriftlich angefragt und dabei das Thema, zu dem er sich äußern soll, klar benannt werden. Nur so ist hinterher ein Beweis möglich.

Richtigkeit der Wiedergabe

Die Meldungen muss aus einer zuverlässigen Quelle stammen oder sorgfältig recherchiert sein. Das nützt aber nichts, wenn die Tatsachen darin nicht zutreffend wiedergegeben sind. Es darf kein falscher Anschein durch Auslassungen entstehen. Schildert der Journalist detailliert bestimmte Vorgänge um eine Person oder ein Unternehmen, muss er sich um größtmögliche Vollständigkeit und Objektivität bemühen. Es darf keinesfalls entlastende Umstände weglassen.

Im politischen Bereich, wo es um die Schilderung komplexer Vorgänge geht, wäre eine solche Anforderung überzogen. Es kann daher nicht verlangt werden, dass in einem Artikel zum Streit innerhalb der Bundesregierung über Sozialreformen das soziale Sicherungssystem in sämtlichen Einzelheiten wiedergegeben wird. Da muss es möglich sein, einzelne Aspekte herauszugreifen.

Verdachtsberichterstattung

Die Presse darf auch über Dinge berichten, die nicht vollständig bewiesen sind. Eine ihrer wichtigsten Funktionen besteht ja gerade darin, auch über den Verdacht bestimmter Vorgänge zu berichten. Und in der Praxis haben oft Presseberichte erst den Anstoß zu weiteren Ermittlungen geliefert, durch die problematische Sachverhalte vollständig aufgedeckt wurden.
Auf der anderen Seite können gerade Verdachtsäußerungen die betroffenen Personen empfindlich treffen – und sie müssen ja nicht zutreffend sein. Verdachtsäußerungen sind zulässig unter den folgenden Voraussetzungen:

  • Sorgfältige Ermittlungen müssen erfolgt sein – hier greifen alle Kriterien pressemäßiger Sorgfalt. Die Ermittlungen müssen zu hinreichenden Anhaltspunkten geführt haben. Wann dies der Fall ist, hängt auch von der Schwere des Vorwurfs ab.
  • Es muss ein berechtigtes Informationsinteresse vorliegen. In Angelegenheiten von großer öffentlicher Bedeutung ist somit eine Verdachtsberichterstattung eher zulässig, als bei Fragen, die eine Einzelperson betreffen. Gesondert zu prüfen ist auch immer, ob ein Informationsinteresse an der Nennung des Namens der Betroffenen besteht. Das ist dann zu bejahen, wenn es um Vorgänge erheblicher Bedeutung geht oder wenn der Betroffene eine besondere Stellung in der Öffentlichkeit hat.
  • Es muss im Bericht ausdrücklich klargestellt werden, dass es sich nur um einen Verdacht handelt. Entlastende Umstände dürfen nicht verschwiegen werden.

Unter diesen Voraussetzungen ist Verdachtsberichterstattung auch dann rechtmäßig, wenn sich später zeigt, dass der Verdacht unberechtigt war. Die Berichterstattung bleibt rechtmäßig und die Medien sind weder zum Widerruf verpflichtet (wohl aber ggf. zur Richtigstellung!) noch schulden sie Schadensersatz.

Aus der Rechtsprechung

Entscheidungen des Deutschen Presserates