Online Lexikon Presserecht
Störerhaftung
Wenn jemand rechtlich verantwortlich gemacht werden kann, einen rechtswidrigen Zustand zu beseitigen, dann bezeichnet man ihn als „Störer“. Die Störerhaftung ist im Bürgerlichen Gesetzbuch in § 1004 BGB sowie in Vorschriften des Verwaltungsrechts geregelt. Sie erfährt – vor allem aufgrund der Rechtsprechung zur Haftung von Plattformbetreibern – im Presserecht eine zunehmend größere Bedeutung.
Als Störer haftet, wer in irgendeiner Weise willentlich dazu beiträgt, dass ein Rechtsgut beeinträchtigt wird. Dann kann er auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, obwohl er selbst weder Täter noch Teilnehmer ist.
Wer genau als Störer anzusehen ist, definieren die Zivilsenate des BGH unterschiedlich. Die Sichtweise des 6. Zivilsenats ist für Fälle im Bereich des Presserechts von besonderer Bedeutung, da dieser Senat u.a. für Entscheidungen über Verletzungen des Persönlichkeitsrechts zuständig ist.
Da der Störer (unabhängig vom Verschulden) für das Verhalten Dritter haften kann, darf seine Haftung nicht unverhältnismäßig weit gefasst werden. Daher greift sie nur, wenn der Störer ihm zumutbare Prüf- oder Überwachungspflichten verletzt hat.
Frage des Einzelfalls
Der Umfang und die konkrete Ausgestaltung dieser Pflichten ist immer eine Frage des Einzelfalls. Von den Gerichten wird untersucht, ob und inwieweit dem Störer eine Verhinderung der Verletzungshandlung zuzumuten ist. Dabei werden die Funktion und die Stellung des Störers ebenso berücksichtigt wie der Umstand, dass der eigentliche Täter selbst die maßgebliche Rolle spielt. Im Ergebnis läuft die Prüfung, ob ein Presseunternehmen als Störer haftet, auf eine Abwägung zwischen Persönlichkeitsschutz einerseits (geschützt durch die Artt. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG sowie Art. 8 Abs. 1 EMRK) und Meinungs- und Pressefreiheit andererseits (geschützt durch Art. 5 Abs. 1 und Art. 10 EMRK) hinaus.
In seiner Entscheidung „Aktenrückkauf“ vom 28.07.2015 hat der 6. Zivilsenat des BGH angenommen, dass A als Störer für einen Dritten (D) haften kann, wenn A im Internet eine unwahre Tatsachenbehauptung verbreitet hat und D diese Äußerung anschließend übernimmt. Wenn A Kenntnis davon erlangt, dass D die Äußerung verbreitet (etwa weil A vom Betroffenen darauf hingewiesen wird), ist es A laut BGH zuzumuten, sich an D zu wenden und diesen aufzufordern, die unwahre Tatsachenbehauptung nicht weiter zu verbreiten. Wenn sich A weigert, das zu tun, muss er damit rechnen, dass er als Störer in Anspruch genommen werden kann (und dadurch Kosten für ihn entstehen). Der BGH geht allerdings nicht so weit, dass er von A Unmögliches verlangt. A kann lediglich dazu verpflichtet werden, auf D einzuwirken, den rechtswidrigen Beitrag zu löschen; zum Löschen selbst kann A als Störer nicht verurteilt werden.
Zumutbaren Prüfpflichten
Hergeleitet wird diese Verantwortlichkeit von A daraus, dass ihm das Verhalten von D zuzurechnen ist, weil A durch die Verbreitung der unwahren Tatsachenbehauptung den ursprünglichen Beitrag geleistet hat. Da – so der BGH in seiner „Aktienrückkauf“-Entscheidung – „Meldungen im Internet typischerweise von Dritten verlinkt und kopiert werden, [sei] die durch die Weiterverbreitung des Ursprungsbeitrags verursachte Rechtsverletzung sowohl äquivalent als auch adäquat kausal“ auf die Veröffentlichung von A zurückzuführen. Der BGH sieht den Zusammenhang auch nicht dadurch unterbrochen, wenn D eigenverantwortlich, unabhängig und ohne Kenntnis von A gehandelt hat. Denn durch das erste Verbreiten durch A und die Möglichkeiten der Vervielfältigung seines Beitrags verwirkliche sich eine „internettypische Gefahr“, für die letztlich A als Störer gerade stehen muss – vorausgesetzt er hat die ihm zumutbaren Prüfpflichten verletzt. Diese Pflicht sieht der BGH jedenfalls dann als verletzt an, sobald A von der Veröffentlichung durch D Kenntnis erlangt und dennoch untätig bleibt.
Die Rechtsprechung des BGH ist durchaus problematisch, weil A auch dann als Störer haften kann, obwohl er mit dem Verhalten von D gar nicht einverstanden ist und es deshalb rechtswidrig ist – etwa weil D durch das Verbreiten der Äußerung von A eine Urheberrechtsverletzung begangen hat.